Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? (Psalm 121)
Noch nie habe ich diese Zeilen so innig gebetet wie gestern.
Ich war auf Wandertour. Extra schon um 6 aufgebrochen, um die Tour bis zur größten Mittagshitze beendet zu haben. Ich war gut vorbereitet – so dachte ich – mit Proviant, Wasser, Karten, Wegbeschreibung und freute mich auf einen Vormittag ganz in Gottes schöner Natur, nur mit mir, meinen Gedanken, meinem Hund.
Nach einem wunderschönen Start bei aufgehender Sonne und fröhlichem Vogelgezwitscher ging es mit flotten Schritten, einem Lächeln auf dem Mund und das Herz voller Dank an den Schöpfer „im Frühtau zu Berge“. Doch schon bald stellte sich heraus, dass die Beschreibungen im Wanderführer nicht so präzise sind, wie gedacht, dass meine Karten ebenfalls zu ungenau, mein Orientierungssinn zu verstädtert und der Wasserbedarf des Hundes viel zu groß und der Wasservorrat entsprechend zu klein ist. Zu viel Zeit verlor ich beim Anstrengenden Auf und Ab auf der Suche nach dem richtigen Weg.
An dieser Stelle muss ein kleiner Exkurs über das Wandern auf Sardinien erfolgen: Es hat wenig mit Wandern in z.B. Deutschland zu tun. Hier gibt es fast noch keine Wanderkultur und dementsprechend keine Wanderinfrastruktur. Es gibt quasi keine Wegweiser, nur wenige Markierungen, die nicht gepflegt werden und daher teilweise verblasst oder lückenhaft sind, es existieren keine guten Wanderkarten, nur alte unübersichtliche Militärkarten und auch mit den immer mehr werdenden Wanderführer – so sehr sie um eine genaue Beschreibung bemüht sind – bleibt Wandern hier immer ein Abenteuer. Der beschriebene Wanderweg ist einer von unzähligen Hirten- und Tiertrampelpfaden und von diesen kaum zu unterscheiden. Es mag viele faszinieren, sich so archaisch in der Natur zu bewegen. Meine Art des Wanderns ist es nicht. Ich liebe die Natur, die Einsamkeit in der Natur, aber ich will meinen Kopf beim Wandern frei bekommen, die Gedanken kommen und gehen lassen – und das geht nicht, wenn ich die ganze Zeit dermaßen konzentriert auf den Weg achten muss.
So beschloss ich die Tour abzubrechen, auf gleichem Weg zuzrückzugehen. Doch auch diesen Weg fand ich nicht mehr. Der berüchtigte „point of no return“ war erreicht. Es half nichts, ich musste weiter.
Ich will jetzt nicht mit Details langweilen, denn es ist ja kein Wander-Blog, sondern einer, in dem es um Gott gehen soll. Kurz gesagt, ich hatte mich vollkommen verlaufen. Ich war irgendwo. Irgendwo Mitten im Nichts, irgendwo auf der Karte und ich hatte Angst. Richtig Angst. Ich war nicht gut genug vorbereitet und ich war meinem Hund ein schlechter Rudelführer. Das Wasser war fast alle, die Sonne brannte, der Hund hechelte sich die Zunge aus dem Leib, ich fürchtete einen Sonnenstich und kein Plan, kein Mensch, keine Ahnung. Mein Angstkreislauf setzte sich in Gang und steigerte sich bis zur Panikattacke. Ich konnte nicht mehr in Ruhe überlegen, mir einen Überblick verschaffen. Ich lief kopflos in verschiedenen Richtungen, kratzte mir die Beine am Gestrüpp auf, brach zusammen.
Da half nur noch beten.
Welch Ironie (oder…?), dass ich mir am Abend zuvor den Psalm 121 aufgeschrieben hatte, um während des Wanderns vielleicht ein wenig über ihn nachzudenken. Ich habe so von Herzen gebetete, wie lange nicht mehr. Geschrieen. Gefleht. (Ein kleiner Einschub: Ich befand mich zu keiner Zeit in Lebensgefahr, die Zivilisation war nicht unendlich weit entfernt – aber das zählt in dem Moment einer Panikattacke nicht…)
Schließlich bin ich mit Gottes Hilfe und dank der modernen Technik, mit der ich meiner Freundin meinen Standort durchgeben konnte und die mich dann auf einen Weg gelotst hat, gut beim Auto angekommen. Auch der Hund hat es – bis auf einen ordentlichen Muskel“kater“ – gut überstanden.
Herr, ich danke dir von ganzem Herzen! Es war eine Lektion in Demut und im Vertrauen an dich. Du verlässt mich nicht, du führst mich auf den rechten Weg! Dank sei dir, dass alles gut ausgegangen ist und auch dass ich den mir anvertrauten Hund gut wieder nach Hause bringen konnte!
Ihr könnt euch vorstellen, dass ich im Moment ganz besonders für all die Wanderer und Pilger bete. Dabei kam mir den Text eines Abendliedes, das meine Eltern früher oft vor dem Einschlafen mit mir gesungen haben, in den Sinn: „Müde bin ich, geh zur Ruh“ Als ich nach dem Text suchte, merkte ich, dass ich meiner Familie offenbar ein ganz eigener Schlusssatz existiert: Statt „Laß den Mond am Himmel stehn und die stille Welt besehn!“ heißt es bei uns „Laß den Mond am Himmel stehn und kein‘ Wandrer irregehn.“
Vielleicht hab ich es nicht oft genug gesungen… Es soll heute Abend mein Nachtgebet sein.
Übrigens, als ich gestern die Vesper betete, konnte ich wieder einmal feststellen, dass Gott durchaus Humor hat. Denn wie lautetet die Antiphon zum ersten Psalm?
„Wie Berge Jerusalem rings umgeben, so ist der Herr um sein Volk, von nun an auf ewig.“
Amen und gute Nacht.